Gesundheitsexpertin Fanny Patzschke erklärt warum klinische Studien meist nicht das halten was wir uns von ihnen erhoffen

Klinische Studien Auswerten & Verstehen – Das Große Dilemma

„Schlank durch Schokolade! Moringa heilt Krebs! Rotwein beugt Herzinfarkt vor!“ [1,2,3]
Diese reißerischen Aussagen haben alle eines gemeinsam: sie wurden durch klinische Studien belegt! Unglaublich, aber wahr! Und spätestens jetzt erkennst du das Dilemma. In sämtlichen Bereichen wie Ernährung, Kosmetik, Pharmazie, Medizin, Fitness, Neurowissenschaften usw. ist die Anzahl hochwertiger wissenschaftlicher Studien extrem überschaubar. Viele bekannte Auffassungen leiten sich oftmals aus Beobachtungsstudien oder Einzelfallanwendungen ab. Vorsicht ist darüber hinaus auch bei Behauptungen wie: „dermatologisch getestet“, „wissenschaftlich geprüft/ belegt“ oder „Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen“ geboten.
Das Ganze klingt zunächst sehr ernüchternd. Aber ich möchte dir dennoch einige Tipps an die Hand geben, worauf du bei der Auswertung achten kannst. Zuerst solltest du folgende Fragen klären:

  1. Wer ist der Auftraggeber der Studie?
  2. Welches Studiendesign wurde gewählt?
  3. Wieviele Teilnehmende (Probanden) gab es?

Genau das hilft dir eine sogenannte „Bias” zu erkennen – also eine (gezielte) Verfälschung der Ergebnisse durch unzulängliche und fehlerhafte Untersuchungsmethoden. [4]

Auftraggeber & Sponsoren

Wer hat die Studie finanziert? Welche Lobby bzw. Interessengruppe steckt dahinter? Sollen ggf. neue Produkte an den Mann oder an die Frau gebracht werden?
All diese Fragen gilt es zu beantworten. Dabei wirst du in der Regel feststellen, dass neutrale wissenschaftliche Untersuchungen selten existieren. Schließlich muss sie jemand finanzieren. Und das ist nicht gerade billig. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass viele klinische Studien widersprüchliche Ergebnisse liefern.

Studiendesign

Es gibt einen sogenannten “Goldstandard” für klinische Studien. In der Pharmazie und anderen wissenschaftlichen Disziplinen spricht man von einer „randomisierten, standardisierten Doppelblindstudie“. Sie ist stets in die Zukunft gerichtet (also prospektiv). Klingt erst einmal kompliziert, ist aber schnell erklärt:

Randomisierung (Strukturgleichheit)

Die Auswahl sowie Verteilung der Teilnehmenden in verschiedene Versuchsgruppen erfolgt zufällig. Die Auftraggeber der Studie dürfen darauf keinen Einfluss nehmen, um die Ergebnisse nicht zu ihrem Vorteil zu manipulieren. [4]

Standardisierung (Behandlungsgleichheit)

Es werden immer mindestens 2 verschiedene Probandengruppen gebildet. Dabei erhält eine Gruppe das zu testende Produkt (Arzneimittel, Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetikartikel etc.), während die andere einen Placebo oder ein bisher auf den Markt befindliches vergleichbares Präparat/ Therapie etc. bekommt. [4]

Verblindung (Beobachtungsgleichheit)

Weder die Teilnehmenden, noch die Auftraggeber oder die an der Auswertung beteiligten Personen wissen, wer welcher Gruppe zugeordnet ist. Die Verblindung wird von einer unabhängigen Institution durchgeführt. In den weiteren Studienverlauf ist diese nicht mehr involviert. [4]

Die Crux hierbei: dieses Studiendesign ist extrem kostspielig und ethisch nicht immer vertretbar. Beispiel: HIV-Patienten im Endstadium nehmen an einer Studie für ein neues Medikament teil, was ggf. Linderung oder Heilung verspricht. Darf man ihnen dabei ein Standard-Präparat, was längst nicht mehr anschlägt oder gar einen Placebo verabreichen?

Probandenzahl

Ein sehr wichtiger Punkt! Wieviele Probanden nahmen an der Untersuchung teil bzw. gab es überhaupt welche? Nicht immer handelt es sich nämlich um Humanstudien. Viele Analysen finden anhand von Zellkulturlinien oder Tierexperimenten statt. Dementsprechend gering ist hierbei die Aussagekraft. Darüber hinaus sind Tierstudien ethisch nicht vertretbar und führen häufig zu falschen Resultaten. Von 10.000 potentiellen neuen Wirkstoffen, die erfolgreich an Tieren getestet wurden, finden lediglich 5-10 Stück klinische Anwendung. Sobald sie allerdings die Phase 1 der Humanstudien durchlaufen, folgt oftmals die Enttäuschung. Nicht selten tauchen massive unerwünschte Nebenwirkungen auf oder das Präparat entfaltet gar keinen Effekt. Auch im Bereich Ernährung existieren zahlreiche tierexperimentelle Untersuchungen oder klinische Studien mit einer sehr geringen Probandenzahl. Dementsprechend sind sie wenig aussagekräftig. [4]

Metaanalysen

Als Metaanalysen bezeichnet man riesige klinische Studien, die sich aus einzelnen kleineren Analysen zur einer bestimmten Fragestellung zusammensetzen. Mit anderen Worten: hier vergleicht man alle Einzelstudien, so dass man einen umfassenden und möglichst vollständigen Überblick bekommt. Damit gehören sie zu den besten Informationsquellen. Aufgrund der extrem großen Probandenzahlen sind sie weniger anfällig für Bias. Demgegenüber stehen auch hier mehrere Nachteile. Zum einen muss ein immenser Auswertungsaufwand betrieben werden und zum anderen ist jede Kette nur so stark wie das schwächste Glied. Soll heißen: eine Metaanalyse ist abhängig von der Qualität der Einzelstudien. Weisen diese grobe Mängel auf, kannst du das Ganze vergessen. [4]

Korrelation vs. Kausalität

Schon wieder zwei Fremdwörter… Aber auch sie sind super wichtig. Die sind nämlich der Grund, weshalb es zu fast jeder Untersuchung eine Gegenanalyse gibt. Einmal gilt beispielsweise Low Carb als super gesund, ein anderes Mal wird High Carb als das Nonplusultra propagiert. Dabei handelt es sich nicht selten um Korrelationsstudien, die einen linearen Zusammenhang zwischen zwei oder mehreren Faktoren beleuchten sollen. Du kannst allerdings nicht auf eine Kausalität – also eine ursächliche Abhängigkeit – schließen! [4]

Hier ein konkretes Beispiel

Angenommen eine Studie findet heraus, dass in Haushalten, wo mehr als zwei Katzen leben, die Menschen eher an einem Herzinfarkt versterben. Sind die Vierbeiner deshalb schuld am Ableben ihrer Besitzer? Natürlich nicht! Hierbei handelt es sich lediglich um eine Korrelation – einen „Zufall“. Es besteht kein kausaler Zusammenhang. Genauso verhält es sich bei den meisten Aussagen, die über die Ernährung getroffen werden (s. die drei eingangs erwähnten Beispiele). Nicht immer ist eine solche (häufig an den Haaren herbeigezogene) Korrelation jedoch eindeutig erkennbar. Hinter vielen „Wahrheiten“ oder „Fakten“ verbergen sich in Wirklichkeit lediglich Vermutungen und Glaubenssätze von verschiedenen Verbänden oder Interessengruppen. Egal, wie seriös deren Anhänger auftreten und welche Titel sie tragen, mit unabhängiger neutraler Wissenschaft hat das wenig zu tun.

Klinische Studien & Social Media

Mittlerweile scheinen alle Influencer auf YouTube und Instagram, die etwas auf sich halten, klinische Studien zu zitieren. Meist, um ihre Aussagen zu untermauern bzw. bestimmte Produkte zu bewerben. Dafür bekommen sie in der Regel eine entsprechende Provision. Lobbyisten nehmen dadurch auch Einfluss auf solche Influencer. Eine Bias wird so nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Häufig treten sie in ihren Videos extrem seriös und professionell auf oder unterhalten die Zuschauer mit ausgefeilten Animationen. Außerdem haben wir ja zu unseren Lieblings-Influencern bereits ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut. Dadurch sind wir leichter manipulierbar. [5]

Abschließend noch einige Tipps für dich

  • Bewerte solche allgemeinen Aussagen, die in wissenschaftlichen Untersuchungen getroffen werden, nicht über.
  • Am Ende des Tages gilt deshalb immer: sammle deine persönlichen Erfahrungen und spüre in dich hinein.
  • Du wirst dabei sehr schnell merken, was dir wirklich gut tut.
  • Entwickle dein eigenes Körpergefühl, denn die beste Studie bist du selbst.

Das Wichtigste in Kürze

  • Unabhängige Klinische Studien sind häufig Mangelware.
  • Kläre die drei wichtigsten Aspekte ab, um die Qualität zu beurteilen: Sponsoren, Studiendesign sowie Probandenzahl.
  • Im Idealfall werden klinische Studien nach dem Goldstandard durchgeführt.
  • Metaanalysen vergleichen alle Einzelstudien zu einem bestimmten Thema. Deshalb liefern sie einen umfassenden Überblick.
  • Korrelation vs. Kausalität: besteht zwischen Ursache und Wirkung wirklich ein Zusammenhang oder ist alles eher Zufall?
  • Viele Influencer auf Social Media erhalten Provisionen, wenn sie bestimmte Produkte bewerben und klinische Studien zitieren.
  • Die beste Studie bist du selbst.

Gesund leben und gesund bleiben – hier gibt’s noch mehr Impulse dazu:

Autorin: Fanny Patzschke

Apothekerin, staatlich geprüfte Ernährungsberaterin, lizenzierte Fitnesstrainerin, zertifizierte Yogalehrerin, Vegan Raw Chef

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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Liebe Fanny!
    Vielen Dank für deinen ausführlichen Artikel. Ich glaube schon lange nicht mehr alles, was Studien sagen. Und über die Problematik der vielen verschiedenen Ergebnisse bzw. Tatsachenverfälschungen mache ich mir schon lange Gedanken. Dein Artikel hat genau das angesprochen, was mich schon so lange beschäftigt. Er hat es auf den Punkt gebracht.
    LG, Nicki

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